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Der COVID-19-Impfstoff AZD1222 vom britisch-schwedischen Hersteller AstraZeneca – neuerdings Vaxzevria genannt – steht im Verdacht, sehr selten Thrombosen zusammen mit einem Mangel an Blutplättchen als unerwünschte Nebenwirkung auszulösen. In Deutschland sind bisher vor allem jüngere Frauen davon betroffen. Am 01.04.2021 veröffentlichte die Ständige Impfkommission (STIKO) einen Beschlussentwurf, in dem sie die Impfung mit diesem Vakzin deshalb nur noch für Menschen über 60 Jahre empfiehlt. Personen, die bereits eine Erstimpfung mit dem Impfstoff erhalten haben, sollen als zweite Dosis einen der zugelassenen RNA-Impfstoffe erhalten [I]. Eine ausführliche wissenschaftliche Begründung dieser Entscheidung wird in diesen Tagen zeitnah nach Ostern erwartet. Zuvor berichtete das Paul-Ehrlich-Institut zuletzt am Montag, 29.03.2021, insgesamt von 31 Fällen von Sinusthrombosen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sind.
Der COVID-19-Impfstoff AZD1222 vom britisch-schwedischen Hersteller AstraZeneca – neuerdings Vaxzevria genannt – steht im Verdacht, sehr selten Thrombosen zusammen mit einem Mangel an Blutplättchen als unerwünschte Nebenwirkung auszulösen. In Deutschland sind bisher vor allem jüngere Frauen davon betroffen. Am 01.04.2021 veröffentlichte die Ständige Impfkommission (STIKO) einen Beschlussentwurf, in dem sie die Impfung mit diesem Vakzin deshalb nur noch für Menschen über 60 Jahre empfiehlt. Personen, die bereits eine Erstimpfung mit dem Impfstoff erhalten haben, sollen als zweite Dosis einen der zugelassenen RNA-Impfstoffe erhalten [I]. Eine ausführliche wissenschaftliche Begründung dieser Entscheidung wird in diesen Tagen zeitnah nach Ostern erwartet. Zuvor berichtete das Paul-Ehrlich-Institut zuletzt am Montag, 29.03.2021, insgesamt von 31 Fällen von Sinusthrombosen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sind.
In Vorbereitung auf die etwaigen neuen Entwicklungen auf europäischer Ebene in dieser Woche beantworteten Fachleute diese Fragen bei einem virtuellen Press Briefing.
In Vorbereitung auf die etwaigen neuen Entwicklungen auf europäischer Ebene in dieser Woche beantworteten Fachleute diese Fragen bei einem virtuellen Press Briefing.
Herr Bogdan, ich hatte Sie gerade schon vorgestellt. Könnten Sie vielleicht noch einmal die Genese der STIKO-Empfehlungen zusammenfasse. Die wissenschaftliche Begründung ist ja leider noch nicht verfügbar online. Deswegen fassen Sie vielleicht dazu einmal die Kernschatten zusammen und auch, welche Daten zu welchen Fällen jetzt dort eingeflossen sind.
Christian Bogdan: Zunächst muss man in Erinnerung rufen, dass wir zum 29. Januardie STIKO-Empfehlung für den AstraZeneca- Impfstoff zusammen mit der wissenschaftlichenBegründung veröffentlicht haben. Teil einer STIKO-Empfehlung ist immer die exakte und konsekutive und kontinuierliche Nachbeobachtung: Was passiert also bei der Anwendung desImpfstoffes. Das ist etwas, was bei jeder Empfehlung wirklich eine conditio sine qua non ist. InDeutschland wird das in erster Linie durch das Paul-Ehrlich-Institut gemacht, wo alle Fälle vonunerwarteten Nebenwirkungen gemeldet werden. Das Meldeverhalten ist im Rahmen dieserCOVID-19 Impfung als sehr, sehr gut zu bezeichnen. Da werden natürlich jetzt viele Sachen gemeldet, die auch einen normalen Impfreaktion entsprechen. Aber was aufgefallen ist und davon haben wir dann als STIKO Anfang März erfahren, dass Fälle von thrombotischen Ereignissen aufgetreten sind einerseits im Rahmen der Sinusvenen und zum anderen auch in anderenBereichen des Körpers. Das hat als erstes dazu geführt, dass wir uns Gedanken gemacht haben,was dahinter stecken könnte. Das Gleiche hat dann auch die EMA gemacht. Dann gab es MitteMärz vom 15. bis zum 18. März diesen vorübergehenden Lockdown für die AstraZeneca-Impfung. Danach kam man zu der Erkenntnis: Gut, wir haben ein Signal, aber es gibt noch keinenGrund, eine Veränderung der Impfempfehlung abzuleiten. Aber in den darauffolgenden zweiWochen hat sich dann doch gezeigt, dass die Zahl dieser Fälle kontinuierlich einerseits zunimmt und dass ich eben doch ein ganz klares Risikosignal abzeichnet. Was wurde gemacht:Man hat betrachtet, welche Anzahl von Fällen tritt auf in der Gesellschaft als Hintergrundinzidenz und hat das verglichen mit der Anzahl der Fälle, die eben im Rahmen der Impfungen aufgetreten sind. Und da ist jetzt ganz wichtig zu bedenken, dass die impfassoziierten Fälle in einem Zeitfenster von vier bis 16 Tagen nach der Impfung auftreten. Wenn man das berücksichtigt, dann kommt man schon zu einer Observed Expected Ratio, das beobachtete Fälle versuserwartete Fälle-Verhältnis von ungefähr 20 bei Frauen im Alter von 20 bis 59 Jahren. Undwenn man es daher für Männer macht, sieht es im Prinzip etwas besser aus, da ist man ungefähr bei einem Faktor von 15. Dabei muss man allerdings bedenken, dass bisher entsprechendauch der Population, die geimpft wurde, deutlich weniger Männer als Frauen geimpft wordensind. Also wir reden ungefähr von dem Faktor 2,5 und dementsprechend ist es auch nicht soganz von der Hand zu weisen, dass man weniger Fälle bei Männern beobachtet hat. Es gibt einganz klares Risikosignal und man muss sich die Frage stellen: Wie groß ist das Risiko im Altervon 20 bis 59, um jetzt mal diese Grenze zu nehmen, schwer an COVID zu erkranken und zuversterben, und wie groß ist das Risiko, durch eine Impfung der schwere Nebenwirkungen zubekommen. Das muss man in eine Relation setzen. Nach den bisherigen Mortalitätsdaten beiCOVID-19 ist es sicher so, dass mit dem 60. Lebensjahr aufwärts das COVID-19-Risiko, schwerzu erkranken und zu versterben, kontinuierlich ansteigt, während wir jetzt bei der jungen Altersgruppe, speziell in der Gruppe auch nur 20- bis 50-Jährigen sehr geringes Mortalitätsrisikohat. Das hat dazu geführt, dass wir gesagt haben, wir impfen grundsätzlich ja gesunde Menschen, die wirklich keinerlei Vorerkrankungen haben, die sich eigentlich „nur“ vor COVID schützen wollen und wenn man ein solches Verhältnis hat unabhängig von der Frage der Pandemiebekämpfung, das geht es um das Individuum, dann ist das erstmal nicht akzeptabel. Das isteine entscheidende Überlegung für die Einschränkung dieser Impfempfehlung auf die Gruppeab 60-Jährigen gewesen. Was man natürlich bedenken muss: Wir sind in der positiven 4Situation, dass es mehr als einen Impfstoff gibt und dass bisher diese Situation in dieser Intensität und Schärfe in keiner Weise bei den mRNA-Impfstoffen in Erscheinung getreten ist. Dasheißt, man hat jetzt hier nicht die Situation, dass man jemanden eine Impfung vorenthält, sondern man hat eine Umverlagerung der vorhandenen Impfstoffe entsprechend der bisher bekannten Risikokonstellationen. Das ist nicht nur eine legitime, sondern es ist wirklich notwendiges Geschehen. Man kann nicht einfach nur den Aspekt der Pandemiebekämpfung argumentieren, so nach dem Motto, wir verhindern durch Impfung von 80 Prozent der Bevölkerungdann ganz viele Todesfälle. Das ist eine Seite der Medaille. Die andere ist, kann ich eine Situation generieren, so dass auch derjenige, der sich impfen lässt, möglichst kein schweres Risikodurch die Impfung davonträgt. Aufgrund der Tatsache der Verfügbarkeit von mehreren Impfstoffen ist es absolut möglich, das so zu händeln und zu entscheiden. Das war ein entscheidender Aspekt, warum wir uns entschieden haben, diese Einschränkung zu empfehlen.
Inwiefern haben Sie sich dann auch darüber unterhalten, inwieferndas jetzt kausal auf die Impfung zurückzuführen ist?
Das ist ein wichtiger Aspekt. Als erstes muss man die Frage stellen: Ist es eine zufällige Koinzidenz oder gibt es eine Kausalität. Den Aspekt der Zufälligkeit konnten wir relativ schnell klären,dass es kein Zufall sein kann, weil sie innerhalb eines festen Zeitfensters auftritt und in einemKontext einer applizierten Impfung. Damit ist aber noch nicht belegt, dass es tatsächlich etwasmit dem Impfstoff zu tun hat, sondern es kann auch ein indirekter Effekt sein, der mit der ausgelösten Immunantwort zusammenhängt. Man muss ja ganz klar zwischen Effekten unterscheiden, die durch die Impfung selbst, also zum Beispiel durch den Vektorimpfstoffe bedingtwäre, und eben Dingen, die durch die Immunantwort bedingt sind. Momentan gibt es keinenHinweis, basierend auf den bisher bekannten und publizierten Daten, dass es genuin der eigentliche Impfstoff ist. Es kann sein, dass es der Impfstoffe ist, aber dafür haben wir bisherwirklich keine Evidenz. Eine Möglichkeit ist die Impfantwort an sich, das heißt, man kriegt Immunstimulation und diese Immunstimulation geht über das hinaus, was bei der Impfung intendiert ist, nämlich die Immunantwort gegen das eigentliche Ziel-Antigen, das heißt hier gegendas Spike-Protein. Das ist ein bekanntes immunologischen Phänomen, das sich durch das Anschieben einer Immunantwort im Zuge einer Infektion oder eben auch einer Impfung auch andere immunologische Prozesse, die bereits präexistent sind, die schon vorhanden sind, auchentsprechend verstärken können. Das heißt, wenn zum Beispiel jemand eine präexistenteAuto-Antikörperbildung gegenüber zum Beispiel Plättchenfaktor 4 hätte, das ist das, was in derGruppe von Prof. Greinacher beobachtet wurde, dass hier möglicherweise so ein Mechanismusvorliegt, dann wäre es vorstellbar, dass durch eine Infektion oder auch durch eine starke immunologische Reaktion im Rahmen einer Impfung eine Verstärkung dieser existenten Auto-Antikörperantwort vorstellbar ist. Das wäre eine Möglichkeit der Erklärung. Wenn das Ganzewirklich durch den Vektor bedingt wäre, losgelöst von solchen Phänomenen, wie ich es gerade 5beschrieben habe, dann müsste das eigentlich viel, viel häufiger auftreten. Das heißt, wir müssen hier einen Mechanismus haben, wo es eine gewisse Prädisposition geben muss. Anders istes nicht erklärbar. Also ohne jegliche Prädisposition kann man die Zahlen, die jetzt vorliegen,nicht erklären. Das ist ein entscheidender Punkt und ein letzter Punkt dazu. Es gibt bisher auchkeinen mir bekannten Hinweis, dass es hier irgendwo eine Geschlechterpräferenz im Hinblickauf den Mechanismus gibt. Und der letzte Punkt. Es kann durchaus sein, nach wie vor, dassmehrere verschiedene Mechanismen hier am Operieren sind, die nicht unbedingt bei allen Patienten identisch sind. Das kann man im Moment auch noch nicht ausschließen, denn ich habebisher nur vier mechanistische Analysen gesehen von neun analysierten Patienten. Ob jetzt beiallen anderen das auch so ist, das ist zumindest mir nicht bekannt. Insofern muss man natürlich auch noch diese Option im Hinterkopf haben. Aber insgesamt muss es etwas sein, was sehrselten ist, wir kommen jetzt ungefähr auf ein bis zwei Fälle bei 100.000 Impfungen bei Frauen,wo so etwas in Erscheinung tritt.
Die Evidenzlage ist dadurch, dass jetzt wenig publiziert ist, ein bisschen unübersichtlich, aberman hat natürlich sehr viel Austausch mit Kollegen in Deutschland, mit Kollegen in anderenLändern, und ich denke schon, dass der Mechanismus, und das ist ja auch als Preprint vonHerrn Greinacher schon publiziert, für einen Großteil dieser Komplikationen aus meiner Sichtrelativ einleuchtend ist. Und zwar nochmal, das ist wichtig zum Verständnis: Der Plättchenfaktor 4 ist ein normales Protein. Der ist auch kein Antigen, sondern da verbindet sich was. Undder verbindet sich, so wie wir es kennen, mit Heparin und kann dann ein Neoantigen bilden,gegen das sich Antikörper bilden, die über den Fc-Rezeptor Thrombozyten aktivieren. Und dieHypothese ist jetzt, dass nicht Heparin, sondern was auch immer sich verbindet, das wissen wirnicht genau. Es könnte der Vektor sein. Es könnte etwas vom Spike-Protein sein. Es könnte wasim Rahmen der allgemeinen Immunreaktion sein, was sich aber mit dem Plättchenfaktor 4 verbinden muss, damit ein Neoantigen entsteht, damit die thrombozytenaktivierenden Antikörperentstehen. Und dieser Mechanismus ist ja, wenn man im Kollegenkreis spricht, bei relativ vielen dieser Patienten mit der Komplikation atypische Thrombose (vorhanden). Und das ist nichtnur die Sinusthrombose, wir haben auch jetzt einige Patienten mit Bauchvenenthrombose inder persönlichen Kommunikation auch in anderen Ländern gesehen. Aber was typisch ist fürdiesen Mechanismus, ist eher die Thrombose an atypischer Lokalisation. Die Kollegen aus England haben auch schon über arterielle Ereignisse berichtet, auch das ist möglich. Und was dannimmer auffällig ist, ist im Labor ein simpler Test, und dadurch sind auch diese ersten Ideen entstanden, der anspricht auf Antikörper gegen den Komplex Heparin-Plättchenfaktor-4. Da wirdder Plättchenfaktor 4 als Antigen in diesem Antikörpertest erkannt, und dadurch ist diesererste Test ein Hinweis darauf, dass diese spezielle thrombozytenaktivierende Gerinnungsstörung vorliegen kann. Und das hat man jetzt von relativ vielen Kollegen gehört, und das hat dieKonsequenz, wenn man da schon einen Schritt weitergehen darf, dass zusätzlich zur Antikoagulation Immunglobuline ein ganz effektiver therapeutischer Ansatz sind, um diese aktivierenden Antikörper zu verdrängen. Denn das wissen wir auch ganz sicher, die aktivieren über denFc-Rezeptor des Thrombozyten den Thrombozyten. Die Medizin hinkt da ja immer ein bisschen 9hinterher, aber es wird jetzt weiter publiziert werden, auch in vielen Fallbeschreibungen. Aberim kollegialen Austausch hat man gesehen, dass gerade bei diesen Patienten, bei denen dieserMechanismus nachgewiesen worden ist, nicht einfach mit reiner Antikoagulation behandeltwird, sondern dann Immunglobuline zusätzlich doch sehr hilfreich sind, um diesen aktivierenden Mechanismus zu unterbrechen.
Frage: Also wenn wir sagen, es gibteine Prädisposition, die vorliegen muss, damit diese seltene Nebenwirkung zustande kommt,dürfte es doch eigentlich kein Problem mit einer zweiten Impfung geben. Wenn es bei der ersten geklappt hat, könnte es auch da klappen. Wie schätzen Sie das ein, dass die zweite Impfung jetzt mit etwas anderem erfolgen soll? Und wie wäre das Risiko, wenn man das tun würde?
Ja, das ist natürlich jetzt reine Spekulation. Wir haben unsere englischen Kollegen mal gefragt,weil die ein bisschen eher dran waren als wir. Wie viel habt ihr denn schon zum zweiten Malmit AstraZeneca geimpft? Und habt ihr in irgendeiner Form mal diese Komplikation gesehen?Das war jetzt mal eine mündliche Information. Nein, das ist jetzt ganz schwer. Man kann sagenals Immunologe: Das ist eine Alles-oder-nichts-Reaktion. Und wenn die beim ersten Mal nichtauftritt, dann tritt die auch beim zweiten Mal nicht auf. Man kann aber auch sagen, dass wenndas Immunsystem keine starke Immunantwort ausbildet, dass durchaus beim zweiten Maldiese Reaktion auch noch auftreten kann. Solange man keine validen Daten hat, ist das reineSpekulation. Wenn man jetzt vorsichtig ist, dann sagt man, man macht die zweite mit etwasanderem. Das will ich jetzt gar nicht bewerten. Von der wissenschaftlichen Einschätzung momentan haben wir keine validen Daten, dass diese Komplikation nach der zweiten Impfungauch auftreten kann oder überhaupt auftritt, weil eben – so auch in England – noch viel zu wenige eine zweite Impfung mit AstraZeneca erhalten haben.
Wie genau wiegt man denn das Risiko eigentlich ab zwischen Impfen von jemanden, der vielleicht ein sehr niedriges Risiko hat, an COVID zu erkranken und zu sterben, und im Gegensatz zu: Wir könnten dadurch Nebenwirkungen auslösen. Wie haben Sie das gemacht, habenSie Berechnungen angestellt, auf wie vielen Fällen beruhen diese Berechnungen. Könnten Sie das schildern, wie die Risikoabwägung abgelaufen ist?
Marianne Röbl-Mathieu : Was wir uns halt angeschaut haben, sind wirklich die Zahlen, wie viele Menschen über 60 im Falle einer COVID-Erkrankung dann auch wirklich daran versterben. Und es sind 300 pro 100000. Wir haben das verglichen mit Menschen zwischen 18 und 59 und das sind 6 pro 100.000. Das heißt, das Risiko an COVID-19 zu versterben, wenn man älter als 60 Jahre alt ist, ist 50-mal so hoch. Das ist schon eindrucksvoll. Dabei handelt es sich um junge Menschen handelt, die durch ihre Impfung mehr zur Bekämpfung der Pandemie beitragen, als dass sie unter Umständen einen eigenen individuellen Vorteil haben. Und das ist dann die Frage, ob man da nicht auch diese Zielgruppen, die man da identifiziert, schützen muss vor dieser zwar seltenen, aber doch sehr schwerwiegenden Nebenwirkung, die ja unter Umständen zu einer dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigung oder sogar zum Tod führen kann.
Wie genau sind Sie zu der Altersgrenze gekommen, 59, 60, ich habe schon gehört, als wenn eine 60-Jährige komplett anderes Risiko hätte als 59-Jährige. Klar, irgendwo muss man eineGrenze setzen, aber wie genau sind sie da hingekommen. Haben Sie gesagt, ab da überwiegt, kippt das Risiko oder wie waren die Berechnungen da?
Marianne Röbl-Mathieu: Wir haben gesehen, dass in 95 Prozent der Fälle diese Ereignisse bei Menschen [unter] 60 Jahren aufgetreten sind? (Röbl-Mathieu sagt fälschlicherweise über 60 Jahren; Anm. d. Red.).Das war erkennbar. Wir haben uns ja die Zahlen von Paul-Ehrlich-Institut angeschaut, die bis dahin vorlagen. Wir haben gesehen, es gab insgesamt nur zwei Fälle, wo Personen über 60 Jahren betroffen waren. Dann spielen durchaus auch praktische Überlegungen eine Rolle, weil das 6auch in der Handhabbarkeit besser ist, wenn da solche Zielgruppen mit glatten Grenzen genannt werden, so sind wir da draufgekommen.Moderatorin [00:15:47]Haben Sie auch die Rolle des Geschlechts diskutiert. Man hätte jetzt ja auch sagen können, bisher sind nur Frauen betroffen, dann machen wir das mal nur für die Frauen, lassen wir die besser raus aus der Impfung?
Marianne Röbl-Mathieu: Ja, das ist natürlich diskutiert worden, aber das ist ja auch vorher schon sehr genau erklärt worden. Erstens sind mit dem AstraZeneca-Impfstoff in Deutschland wesentlich mehr Frauengeimpft worden und gerade eben in der jüngeren Altersgruppe. Und zweitens haben die Hypothesen zur Entstehung dieses Phänomens nichts hergegeben, was dafür gesprochen hätte, dass das jetzt geschlechtsspezifisch gehäuft auftritt. Und es gibt ja auch bei Frauen eine erhöhte Hintergrundinzidenz im Vergleich zu den Männern. Das spielt ja auch nochmal eineRolle.
Moderatorin: Aber auch eine generelle Hintergrundinzidenz, die höher ist, unabhängig von der Impfung. Da spielen dann auch hormonelle Dinge eine Rolle, die eine sowieso höhere Thromboseneigung bei Frauen auslösen. Über Pilleneinahme wurde diskutiert, das fließt ja auch alles mit ein.
Marianne Röbl-Mathieu: Was da genau mit einfließt, das ist ein bisschen die Frage. Sie sprechen da einen wichtigenPunkt an, denn diese Ereignisse scheinen ja wenig mit den klassischen Risikofaktoren fürThrombose zu tun zu haben, mit denen Frauenärzte ja sehr gut vertraut sind, zum Beispiel beider Pillenverordnung oder auch bei der Verordnung der Hormonsubstitution, dann in der Periund Postmenopause oder auch wenn es darum geht, dass Frauen nach Tumorerkrankungen eine adjuvante, endokrine Therapie bekommen, die dann auch mit einem erhöhten Thromboserisiko verbunden sein kann. Und einer dieser klassischen allgemein bekannten Risikofaktoren ist zum Beispiel das Lebensalter und das passt hier ja gar nicht ins Bild. Wir sehen ja, dass da überwiegend jüngere Menschen betroffen sind. Das ist einfach noch ein großes Fragezeichen und das ist auch ein Problem, was ich jetzt in der Praxis sehe. Wir haben ja in der Impfempfehlung auch betont, dass es einzelnen Personen unbenommen bleibt, auch in der jüngeren Altersgruppe, sich mit AstraZeneca impfen zu lassen, sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Impfstoffdosis nach Risikoaufklärung und individueller Nutzen-Risiko-Abwägung. Nur frage ich mich da als beratende Ärztin: Woran kann ich das festmachen? Bisher sind keine spezifischen Risikofaktoren identifiziert und das ist etwas, was natürlich eine Beratung schwierig macht. Und dann kann die sich eigentlich nur darauf beschränken, dass man eine Risikoaufklärung macht und sagt: So sind die Fakten, es handelt sich um ein seltenes Risiko und ich kann dir, Ihnen leider nicht sagen, ob Sie irgendwelche relevanten Risikofaktoren haben, sondern Sie müssten dann eben bereit sein, dieses kleine Risiko für sich in Kauf zu nehmen.