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Der Nutzen von Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei Kindern

Der Nutzen von Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei Kindern

This article was published on
May 3, 2021

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Sollten Kinder und Jugendliche auch gegen COVID-19 geimpft werden? Diese Frage stellt sich immer häufiger, da zwei Argumente weiter an Stärke gewinnen, die für das Impfen von Kindern sprechen: zum einen der Bevölkerungsschutz über die Herdenimmunität, zum anderen der Individualschutz von Kindern vor einer schweren Erkrankung.

Sollten Kinder und Jugendliche auch gegen COVID-19 geimpft werden? Diese Frage stellt sich immer häufiger, da zwei Argumente weiter an Stärke gewinnen, die für das Impfen von Kindern sprechen: zum einen der Bevölkerungsschutz über die Herdenimmunität, zum anderen der Individualschutz von Kindern vor einer schweren Erkrankung.

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What our experts say

Weshalb das Impfen von Kindern wichtig für den Gesamtschutz der Bevölkerung ist, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse auf individueller Ebene für eine Immunisierung sprechen und welche Hürden bei der klinischen Erprobung bei Impfstoffen für Kinder bestehen, schätzten Expertinnen und Experten untenstehend ein.

Weshalb das Impfen von Kindern wichtig für den Gesamtschutz der Bevölkerung ist, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse auf individueller Ebene für eine Immunisierung sprechen und welche Hürden bei der klinischen Erprobung bei Impfstoffen für Kinder bestehen, schätzten Expertinnen und Experten untenstehend ein.

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Media Release

Expert Comments: 

Prof. Dr. Jörg Dötsch

Sowohl im Hinblick auf den Individualschutz als auch im Hinblick auf den Bevölkerungsschutz besteht die Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren so bald wie möglich gegen COVID-19 zu impfen. Zwar sind die akuten Krankheitsverläufe bei Kindern nicht sehr häufig schwer und mit Krankenhausaufenthalten vergesellschaftet, jedoch ist die überschießende Immunreaktion bei einigen Kindern und Jugendlichen durchaus Grund zur stationären Aufnahme und zur Behandlung. Dies könnte im Sinne des Individualschutzes durch eine Impfung vermieden werden. Ebenso könnten Kinder und Jugendliche mit Grunderkrankungen, die den Krankheitsverlauf verschlimmern,geschützt werden. Zudem sollten Kinder und Jugendliche auch am Bevölkerungsschutz teilnehmen, insbesondere wenn die Ansteckungsgefahr durch neue Virusvarianten größer wird. Zum aktuellen Zeitpunkt kann jedoch keine Empfehlung zur Impfung ausgesprochen werden, da es keine Zulassung für das Kindes- und Jugendalter bis 16 Jahre gibt – ein Off-Label-Use würde es in Anbetracht der oben dargestellten Krankheitsschwere nicht vertretbar machen, Kinder und Jugendliche vor einer Zulassung zu impfen.

Die klinische Überprüfung bei Kindern unterliegt immer besonderen Herausforderungen, da es natürlich bei jeder klinischen Überprüfung zu einem potenziellen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit kommt bei Menschen, die die Tragweite dieser Prüfung nicht ersehen können. Insofern ist bei Kindern und Jugendlichen eine besonders strenge Prüfung der ethischen Voraussetzungen vor der Testung eines Arzneimittels oder eines Impfstoffes angezeigt. Es muss konsequenter dargelegt werden, dass es keine Alternativen zur Testung gibt und wie mit möglichen unerwünschten Ereignissen umgegangen wird. Dies gilt generell und so auch in Bezug auf die Überprüfung von Impfstoffen gegen COVID-19.

Sobald Studien abgeschlossen sind, die 12- bis 16-Jährige erfassen, kann auch nur in dieser Altersgruppe die Zulassung des Impfstoffes beantragt werden. Es wird im weiteren Verlauf nötig sein, die Studien an jüngeren Altersgruppen durchzuführen. Auch diese Praxis ist bei Impfstoff- sowie Arzneimitteltestungen gängig. Entsprechend musste auch bei anderen Impfungen, die Kindern gegenüber empfohlen werden, vorgegangen werden. Bei jeder neu einzuführenden Impfung ist und war es notwendig, Studien in der Altersgruppe derer durchzuführen, bei denen die Impfung vorgesehen ist. Dies gilt für Lebendimpfungen wie Masern, Mumps, Röteln, Varizellen und Rotaviren ebenso wie für Impfungen mit Totimpfstoffen wie Pneumokokken, Tetanus, Diphtherie und anderen.

Dr. Folke Brinkmann

Kinder und Jugendliche erkranken seltener als Erwachsene an einer SARS-CoV-2-Infektion. Studien zur Prävalenz von SARS-CoV-2-Antikörpern zeigen, dass etwa 50 Prozent der Kinder mit Antikörpernachweis asymptomatische Infektionen durchgemacht haben [1]. Außerdem haben Kinder seltener schwere Verläufe als Erwachsene – zehn Prozent der Erwachsenen benötigen eine Hospitalisierung im Vergleich zu ein bis zwei Prozent der Kinder [2]. Allerdings gibt es auch bei Kindern schwere Verläufe mit einzelnen Todesfällen, zum Beispiel im Rahmen des systemischen Entzündungssyndroms namens MIS-C. Außerdem wurden auch Spätfolgen im Sinne eines Long Covid [3] beschrieben. Daher ist eine Impfung von Kindern und Jugendlichen auch zusätzlich zum Gedanken der schnelleren Erlangung einer Herdenimmunität für den individuellen Schutz sinnvoll.

Impfstoffe bei Kindern müssen in unterschiedlichen Altersgruppen im Hinblick auf Dosierung, Nebenwirkungen und Entwicklung einer effektiven Impfantwort getestet werden. Hierbei sollte zum Beispiel der altersabhängig unterschiedlichen Immunantwort Rechnung getragen werden. So ist zum Beispiel eine Boosterung der Antikörperspiegel im Blut durch zwischenzeitliche Infektionen oder andere Impfungen beschrieben. Über den longitudinalen Verlauf neutralisierender SARS-CoV-2-Antikörper bei Kindern in unterschiedlichen Altersgruppen ist noch nicht viel bekannt.

Wie oben erörtert, sollten in der klinischen Prüfung Impfungen in ausreichend großen Gruppen allen Alters erfolgen, um verlässliche Daten zu generieren. So unterscheiden sich zum Beispiel bei den Pneumokokkenimpfungen die Empfehlungen, welcher Impfstoff je nach Alter verwendet wird. Beispielsweise werden für Kinder unter zwei Jahren Konjugatimpfstoffe eingesetzt – also Impfstoffe, die zusätzlich ein Protein enthalten, auf das das kindliche Immunsystem besser reagiert –, wenn die Entwicklung bei einer Immunität anders nicht gegeben ist. Wichtig wäre es auch, Kinder mit Vorerkrankungen in die Impfstudien, zumindest in die Phase-III-Studien einzubeziehen, für die die Impfung auch besonders sinnvoll ist.

Prof. Dr. Johannes G. Liese

Ich halte das Impfen von Kindern gegen COVID-19 prinzipiell für sinnvoll, wenn Impfstoffe zugelassen sind. Respiratorische Virusinfektionen im Kindesalter werden häufig übertragen und von dort in der Bevölkerung verbreitet. Wir kennen das von der jährlichen Influenza mit der höchsten Inzidenz im Kleinkindalter, die sich von dort in andere Altersgruppen verbreitet. Bei SARS-CoV-2 haben wir tatsächlich eine andere Situation, da die Inzidenz bei den jungen Altersgruppen bisher eigentlich am niedrigsten ist. Allerdings sehen wir in den letzten Monaten eine Zunahme der SARS-CoV-2-Infektionen vor allem bei Jugendlichen, aber auch zum Teil bei Schulkindern. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Virus zukünftig auch in der Gruppe der Kleinkinder effektiver verbreiten kann. Aus diesem Grund kann die Erreichung eines Herdenschutz ein wesentlicher Punkt für das Impfen von Kindern gegen COVID-19 sein.

Es ist überraschend, dass Infektionen bei Säuglingen und Kindern bisher so selten aufgetreten sind – gerade in Kitas, wo die Kinder so eng in Kontakt sind. Auch dort kam es bis jetzt nicht zu vielen und großen Ausbrüchen. Als Begründung gibt es verschiedene Hypothesen. Zum einen, dass der ACE2-Rezeptor, an den das Virus bindet, bei Kindern an der Schleimhaut weniger exprimiert (das Gen für den Rezeptor wird seltener abgelesen, weshalb weniger Rezeptorproteine in der Zelle gebaut und in der Zellmembran verankert werden; Anm. d. Red.) wird. Eine weitere Hypothese ist das Vorhandensein von Antikörpern gegen die klassischen Erkältungs-Corona-Viren, mit denen sich die Kinder alljährlich infizieren. Man geht davon aus, dass diese Antikörper eine gewisse Kreuzimmunität vermitteln könnten. Die dritte Hypothese ist, dass bei Kindern das angeborenes Immunsystem der Schleimhaut sehr stark aktiv ist, was dazu führt, dass das Virus sehr schnell bekämpft werden kann, bevor es überhaupt zu einer richtigen Infektion kommen kann. Das könnte vor allem auf Kleinkinder zutreffen. Interessanterweise scheint es in Bezug auf die Anfälligkeit gegenüber dem Virus eine Altersgrenze von etwa zehn Jahren zu geben. Darüber erkranken Kinder beziehungsweise Jugendliche ähnlich häufig wie Erwachsene.

Überwiegend ist COVID-19 im Kindesalter eine leichte Infektion der oberen Atemwege. Viele Kinder sind sogar asymptomatisch und haben nur milde Symptome. Das heißt der Individualschutz einer Impfung spielt bei der Mehrzahl der Kinder eher eine untergeordnete Rolle. Es gibt aber auch Komplikationen bei Kindern, wie die entzündlichen Erkrankungen der Blutgefäße, des Herzens und des Herz-Kreislauf-Systems (Multisystem inflammatory syndrome in children (MIS-C)), die für Kinder bei COVID-19 selten, aber spezifisch sind. Deren Anzahl könnte häufiger werden, wenn die Erkrankung insgesamt in dieser Altersgruppe häufiger auftritt.

Klinische Prüfungen bei Kindern unterliegen größeren Herausforderungen, weil Kinder nicht selber einwilligen können, beziehungsweise laut der Ethikkommission erst ab zwölf Jahren zustimmungspflichtig sind. Deshalb sind die Impfstoffhersteller und Zulassungsbehörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder das Paul-Ehrlich-Institut verpflichtet, hier eine besondere Vorsicht walten zu lassen.

In den klinischen Studien muss sichergestellt werden, dass es durch die Impfung nicht zu seltenen Komplikationen kommt. Deshalb sind nach einer ersten Phase der Zulassungsstudien, die an einer begrenzten Anzahl von Probanden durchgeführt werden, auch noch weitere Studien nach der Zulassung erforderlich.

Interessanterweise spielt das Körpergewicht bei der Impfdosis eine untergeordnetere Rolle. Bei einigen Impfungen, wie bei Tetanus zum Beispiel, bekommen Säuglinge eine höhere Dosis gespritzt als Erwachsene. Auf der anderen Seite gibt es Impfstoffe wie jene gegen das Humane Papillomavirus, die man bei Erwachsenen häufiger einsetzen muss als bei Kindern. Man kann das nicht vorhersagen. Deshalb muss man in den Phase-I- und Phase-II-Studien untersuchen, wie hoch die Dosis sein muss, um die gleiche Immunität – gemessen zum Beispiel anhand von Antiköperspiegeln im Blut – zu erreichen. Man fängt üblicherweise mit einer niedrigen Dosis an, aber am Ende könnte es dazu führen, dass höhere Dosen erforderlich sind als bei Erwachsenen.

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